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An: Berliner Sozial- und Integrationssenatorin Cansel Kızıltepe, Regierender Bürgermeister von Berlin Kai Wegner
Nein zur Bezahlkarte! Ja zur gleichberechtigten Teilhabe ALLER Menschen!
Seit der Konferenz der Ministerpräsident*innen (MPK) im November 2023 diskutiert Deutschland über die Einführung einer „Bezahlkarte“ für geflüchtete Menschen.
In einem offenen Brief an die Berliner Sozial- und Integrationssenatorin Kiziltepe (SPD) sowie den Regierenden Bürgermeister Wegner (CDU) haben wir im Februar mit über 60 zivilgesellschaftlichen Organisationen erklärt, warum wir dieses Instrument als diskriminierend, entmündigend und nicht zuletzt auch als verfassungsrechtswidrig strikt ablehnen. Wir haben die Berliner Landesregierung dazu aufgerufen, sich nicht an diesem populistischen und allein auf Abschreckung abzielenden Instrument zu beteiligen.
Auf der letzten MPK vom 20. Juni 2024 haben sich die Länderchef*innen nun auf die Festsetzung eines einheitlichen Barbetrags in Höhe von 50€ pro Person verständigt. Lediglich die Bundesländer Bremen und Thüringen haben in einer Protokollnotiz erklärt, dass sie mit diesem Beschluss nicht einverstanden sind. Eigentlich hätte auch Berlin auf dieser Liste stehen müssen, denn in der schwarz-roten Koalition besteht weiterhin ein Dissens: Während Bürgermeister Wegner sowohl die Bezahlkarte als auch die Bargeldbegrenzung als notwendig befürwortet, ist die Sozialsenatorin Kiziltepe weiterhin dafür, dass Geflüchtete selbstbestimmt über ihr weniges Geld verfügen können.
Wir bestärken Frau Kiziltepe in ihrer Haltung ausdrücklich und rufen dazu auf, dass sich Berlin weiterhin für gesellschaftliche Teilhabe und gegen systematische Ausgrenzung geflüchteter Menschen stark macht. Wir dürfen uns nicht der rechtspopulistischen Meinungsmache beugen – damit gewinnt man keine Wähler*innen, sondern verdirbt das gesellschaftliche Klima.
Unterstützt uns in unserer Forderung nach einem klaren Nein zur Bezahlkarte und unterschreibt diese Petition!
Warum ist das wichtig?
Die Bezahlkarte ist in unseren Augen:
Entmündigend
Die Bezahlkarte greift massiv in das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ein. Sie dürfen maximal 50€ Bargeld im Monat abheben, Überweisungen ins In- und Ausland sind komplett untersagt.
Das schränkt den Alltag der Menschen enorm ein: Die Raten für den Rechtsbeistand, Geld für die Klassenfahrt oder die Möglichkeit, Dinge günstig auf dem Flohmarkt zu kaufen – all das sind Beispiele für Dinge, die nicht mehr möglich sein werden.
Verfassungswidrig
In Artikel 1 GG heißt es, die Würde des Menschen sei unantastbar. Empfänger*innen von Leistungen nach dem AsylbLG erhalten nicht nur Leistungen unterhalb des Existenzminimums (knapp 20% weniger als Bügergeldempfänger*innen). Das dahinterstehende Ziel haben die Politiker*innen klar formuliert: Man will die Zahl der Asylsuchenden „deutlich und effektiv“ senken. Sozialleistungen werden somit als Abschreckungsinstrument missbraucht.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil bereits 2012 festgestellt, dass die Menschenwürde nicht für migrationspolitische Zwecke relativiert werden darf. Aber genau das passiert gerade.
Diskriminierend
Asylsuchende werden einmal mehr als Menschen zweiter Klasse behandelt. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist bereits zutiefst diskriminierend, da es u.a. besagt, dass es eine Gruppe von Menschen in Deutschland gibt, die scheinbar nicht würdig sind, das hier geltende Existenzminimum zu erhalten.
Mit der neuen Bezahlkarte werden diese Menschen noch weiter entrechtet.
Weiterhin offenbart sich bereits am noch weiter verschärften Diskurs zu Begrenzungen der Bargeldabhebungen, dass es nie um Verwaltungseffizienz oder unbare Zahlungsmöglichkeiten für geflüchtete Menschen ging, sondern allein um Sanktionierungsmaßnahmen. Von denen können demnächst auch Bürgergeldempfänger*innen betroffen sein.
Stigmatisierend
Asylsuchenden Menschen wird pauschal unterstellt, in erster Linie wegen monetärer Anreize nach Deutschland zu kommen. Dabei wurde in der Migrationsforschung und selbst durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages längst festgestellt, dass wesentlich für die Wahl eines Ziellandes die familiären und sozialen Bindungen, Bildungs- und Arbeitsperspektiven sowie rechtsstaatliche Sicherheit einer demokratisch verfassten Gesellschaft sind. Menschen fliehen in erster Linie vor Krieg, Unterdrückung und humanitären Notlagen. Ökonomische Faktoren greifen für die Erklärung von Fluchtbewegungen viel zu kurz.
Dennoch wird Asylsuchenden vorgeworfen, das Sozialhilfesystem „auszunutzen“. Es wird ihnen vorgeworfen, dass Menschen, die Asylbewerberleistungen beziehen, von diesem wenigen Geld auch noch etwas an ihre Familien im Herkunftsland überweisen. Wenn Menschen in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen, wo anfangs alle leben müssen und manche auch für die gesamte Zeit ihres Aufenthalts in Deutschland, dann erhalten sie einen monatlichen Barbetrag von maximal 204 € pro erwachsene alleinstehende Person. Wenn es den Menschen durch äußerste Sparsamkeit gelingt, 20-30 € davon zur Seite zu legen, um damit ihre Familien in Afghanistan, Syrien, Eritrea oder sonst wo zu unterstützen, ist fraglich, was daran verwerflich sein soll und worin der Sozialhilfemissbrauch liegt.
Diese falschen Beschuldigungen sind populistisch und nähren Vorurteile und Ressentiments in der Gesellschaft gegenüber Geflüchteten.
Fehlannahmen
Das zynische Ziel der Bezahlkarte ist Abschreckung. Doch niemand lässt sich auf eine gefährliche und oft auch sehr kostspielige Flucht ein, nur weil er*sie in Deutschland Bargeld erhält. Im Umkehrschluss wird eine Bezahlkarte auch niemanden abschrecken. Es wird die Menschen nur noch mehr entrechten und diese scheibchenweise Entrechtung stärkt am Ende nur rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen und Parteien.
Was Menschen aus dem Ausland auf lange Sicht eher abschrecken wird, sind die rassistischen und migrationsfeindlichen Töne von immer mehr Politiker*innen. Doch davon werden auch die Fachkräfte abgeschreckt, die die deutsche Wirtschaft eigentlich so dringend hier haben möchte.
Alternative
Bargeld allein ist sicher nicht das Nonplusultra. Es ist für alle Beteiligten von Vorteil, wenn das monatliche Schlangestehen für die Auszahlung der Leistungen vermieden wird und eine Wahlfreiheit zwischen digitaler und barer Bezahlung gegeben ist.
Asylsuchende haben gemäß dem Zahlungskontengesetz einen Anspruch auf den Abschluss eines Basiskontovertrags. Solch ein Konto hat den Vorteil, dass AsylbLG-Empfänger*innen genauso wie alle anderen Menschen selbstbestimmt über ihr Geld entscheiden können UND dass Sozialbehörden entlastet werden, da sie die Leistungen einfach auf das Konto überweisen können.[1]
Berlin darf sich am Vergabeverfahren für die Bezahlkarte nicht beteiligen. Hier ist kein Platz für Stigmatisierung und Entrechtung geflüchteter Menschen!
[1] Mit dieser Praxis hat Berlin bereits positive Erfahrungen gemacht. 2015 hat die Sparkasse zwei Kundencenter speziell für Geflüchtete eröffnet. Leider wurde dieses spezialisierte Beratungssystem eingestellt. Diese Praxis der Basiskontoeröffnung muss in Berlin wieder forciert werden, anstatt weiter dem humanitären wie rechtlichen Abwärtstrend zu folgen. Im Gegensatz zu den Mehrkosten durch die Bezahlkarte würde ein Basiskonto die Menschen im Idealfall über einen langen Zeitraum begleiten und so massiv öffentliche Gelder einsparen.