Staatliche Eingriffe in diese Grundrechte, insbesondere durch Strafverfolgung, sind nur zu rechtfertigen, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgen und geeignet, erforderlich und angemessen sind, um dieses Ziel zu erreichen. Besonders strenge Maßstäbe müssen angelegt werden, wenn nicht die konkrete Protesthandlung, sondern das gemeinsame Protestieren als solches bestraft werden soll – genau das bezweckt aber die Anwendung des § 129 StGB auf den Protest der “Letzten Generation”. Es geht nicht um die Ahndung von konkreten Gesetzesübertretungen durch die Aktivist*innen als Nötigung, Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung, sondern um die Verfolgung des Kollektivs; der politischen Bewegung als kriminelle Organisation.
Eine solche Bestrafung der politischen Bewegungsarbeit ist Gift für eine freiheitliche Demokratie. Denn es ist gerade eines ihrer Wesensmerkmale und das zentrale Anliegen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, dass sich Menschen organisieren, um gemeinsam an der öffentlichen Meinungs- und politischen Willensbildung mitzuwirken. Schon deshalb kann der gemeinschaftliche gewaltfreie Protest der Klimaaktivist*innen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen keine “erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit” darstellen, wie sie von § 129 StGB vorausgesetzt wird.[5] Auch zahlreiche Stimmen aus der Strafrechtswissenschaft kritisieren das Vorgehen der Münchner Staatsanwaltschaft gegen die “Letzte Generation”.[6] Sie als kriminelle Organisation zu verfolgen und anzuklagen sägt an den tragenden Säulen der freiheitlichen Demokratie und schafft gefährliche Präzedenzfälle, die jede Person, die sich politisch einbringt oder gewisse politische Ziele unterstützt, der Sorge vor Strafverfolgung aussetzt.
Überall auf der Welt gerät die Demokratie zunehmend unter Druck. Gerade in Zeiten eines Erstarkens anti-demokratischer Kräfte und der Klimakatastrophe, in Zeiten, in denen aus der Politik autoritäre Forderungen laut werden, ist es Aufgabe der Justiz, sich schützend vor Grundrechte zu stellen, auf denen unsere freiheitliche Demokratie fußt. Denn die Demokratie lebt vom Engagement ihrer Bürger*innen – auch und gerade im Protest. Die Justiz sollte jene rechtlich verfolgen, die die Zerstörung des Planeten aktiv vorantreiben.
“In diesen Zeiten ist die einzige legitime Reaktion auf friedlichen Klimaaktivismus und zivilen Ungehorsam, dass die Behörden, die Medien und die Gesellschaft verstehen, wie essentiell es ist, dass wir hören, was Klimaaktivist*innen uns zu sagen haben.”
Michel Forst, UN Special Rapporteur on Environmental Defenders. [4]
Wer ist "Menschen gegen Öl"?
Unter dem Namen "Menschen gegen Öl" versammeln sich als Bündnis Rechtsexpert*innen, Unterstützer*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung und Bürger*innen einer aktiven Zivilgesellschaft.
Wir informieren über die laufenden Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) gegen Unterstützer*innen der Letzten Generation und lenken dabei die Aufmerksamkeit auf die gravierenden Folgen für zivilgesellschaftliches Engagement. Außerdem schaffen wir Möglichkeiten, gegen diese Kriminalisierung und Einschränkung von Grundrechten aktiv zu werden.
[3] Communication by the UN Special Rapporteurs on the situation of human rights defenders, the promotion and protection of human rights in the context of climate change, the human right to a clean, healthy and sustainable environment; the promotion and protection of the right to freedom of opinion and on the rights to freedom of peaceful assembly and of association, 1.10.2024, available at
https://spcommreports.ohchr.org/TMResultsBase/DownLoadPublicCommunicationFile?gId=29390.
[6] Jahn/Wenglarczyk, Organisierte Klimaproteste und Strafverfassungsrecht, JZ 2023, 885; Zöller, „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung, NSW 2024, 110, verfügbar unter
https://nsw-online.com/wp-content/uploads/2024/02/Zoeller_NSW2024_01_09-2.pdf; Kuhli/Papenfuß,
Warum die „Letzte Generation“ (noch) keine kriminelle Vereinigung ist, KriPoZ 2023, 71, verfügbar unter
https://kripoz.de/wp-content/uploads/2023/03/kuhli-papenfuss-warum-die-letzte-generation-noch-keine-kriminelle-vereinigung-ist.pdf; Singelnstein/Winkler, Wo die kriminelle Vereinigung beginnt – Zu den strafverfassungsrechtlichen Grenzen der §§ 129 ff. StGB, NJW 2023, 2815; Höffler, Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat, Verfassungsblog, 25.05.2023, verfügbar unter
https://verfassungsblog.de/ziviler-ungehorsam-testfall-fur-den-demokratischen-rechtsstaat/. Zum Reformbedarf der Vorschrift: Heger/Huthmann, Diskussion um § 129 StGB: Braucht Deutschland einen eigenen Tatbestand für schwerkriminelle Vereinigungen?, KriPoZ 2023, 259, vergübar unter
https://kripoz.de/wp-content/uploads/2023/07/heger-huthmann-diskussion-um-129-stgb.pdf.