An: Hamburger Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung Maryam Blumenthal, NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaft Ina Brandes, Rektorate der Universität zu Köln u. der Ev. Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie Hamburg
Disability Studies bedroht: Kritisch-emanzipatorische Wissenschaft schützen und stärken!
Version: Leichte Sprache | English | Gebärdensprachlicher Dialog zum Appell
Disability Studies sind ein transdisziplinäres, international ausgerichtetes und höchst innovatives Forschungsfeld, das traditionelle Sichtweisen auf Behinderung hinterfragt und neue Denkweisen anregt: Im Mittelpunkt steht die Analyse von Behinderung als soziales Phänomen. Ihr Ansatz ist damit gesellschaftskritisch und grundlagentheoretisch angelegt – Behinderung wird nicht als individuelles Defizit verstanden, sondern die gesellschaftlichen Barrieren werden ebenso in den Blick genommen wie die Normierungs- und Normalisierungsprozesse sozialer Ungleichbehandlung. Seit den frühen 2000er-Jahren sind die aus den internationalen Behindertenbewegungen hervorgegangenen Disability Studies auch im deutschsprachigen Raum an verschiedenen Hochschulen und Universitäten vertreten, u.a. das ‚Zentrum für Disability Studies und Teilhabeforschung‘ (ZeDiSplus) in Hamburg, die ‚Internationale Forschungsstelle Disability Studies‘ (iDiS) in Köln oder das ‚Bochumer Zentrum für Disability Studies‘ (BODYS). Es gibt ein breites Spektrum an Forschungsaktivitäten und zahlreiche Lehrangebote, aber bislang keine eigenständigen Studiengänge. Disability Studies verstehen sich als Querschnittsdisziplin; sie entwickeln neues Wissen, Theorien und Methoden, die weit über den traditionellen Behinderungsdiskurs hinausgehen und den Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ praktisch umsetzen. Zentral ist die gleichberechtigte Partizipation von Menschen mit Behinderungen.
Disability Studies sind ein transdisziplinäres, international ausgerichtetes und höchst innovatives Forschungsfeld, das traditionelle Sichtweisen auf Behinderung hinterfragt und neue Denkweisen anregt: Im Mittelpunkt steht die Analyse von Behinderung als soziales Phänomen. Ihr Ansatz ist damit gesellschaftskritisch und grundlagentheoretisch angelegt – Behinderung wird nicht als individuelles Defizit verstanden, sondern die gesellschaftlichen Barrieren werden ebenso in den Blick genommen wie die Normierungs- und Normalisierungsprozesse sozialer Ungleichbehandlung. Seit den frühen 2000er-Jahren sind die aus den internationalen Behindertenbewegungen hervorgegangenen Disability Studies auch im deutschsprachigen Raum an verschiedenen Hochschulen und Universitäten vertreten, u.a. das ‚Zentrum für Disability Studies und Teilhabeforschung‘ (ZeDiSplus) in Hamburg, die ‚Internationale Forschungsstelle Disability Studies‘ (iDiS) in Köln oder das ‚Bochumer Zentrum für Disability Studies‘ (BODYS). Es gibt ein breites Spektrum an Forschungsaktivitäten und zahlreiche Lehrangebote, aber bislang keine eigenständigen Studiengänge. Disability Studies verstehen sich als Querschnittsdisziplin; sie entwickeln neues Wissen, Theorien und Methoden, die weit über den traditionellen Behinderungsdiskurs hinausgehen und den Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ praktisch umsetzen. Zentral ist die gleichberechtigte Partizipation von Menschen mit Behinderungen.
Angesichts des aktuellen gesellschaftlichen und politischen Backlashs stehen sowohl Gender & Queer Studies als auch die Disability Studies unter Druck. Dies zeigt sich in systematischen Angriffen auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sowie inklusive Pädagogik und setzt sich in der Ablehnung gesellschaftskritischer Forschung und Lehre fort. Die Angriffe folgen einem bekannten Muster: Sie beginnen mit der Delegitimierung einzelner emanzipatorischer Disziplinen, um schrittweise das gesamte Spektrum der gesellschaftskritischen Lehre und Forschung zu untergraben. Besonders intersektionale und menschenrechtsorientierte Forschungsansätze sind daher keine Selbstverständlichkeit. Es müssen dringend im deutschsprachigen Raum dauerhafte institutionelle Grundlagen für Disability Studies geschaffen werden – auch um der Demontage kritisch-emanzipatorischer Wissenschaften entgegenzutreten. Zurzeit passiert hierzulande aber genau das Gegenteil, anstatt bestehende Institutionen der Disability Studies zu stärken, sollen sie entweder geschlossen werden oder sind durch radikale Kürzungen bedroht:
Das Zentrum für Disability Studies und Teilhabeforschung (ZeDiSplus) an der Ev. Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie, Stiftung Das Rauhe Haus Hamburg und die damit verbundene bundesweit einmalige Interdisziplinäre Professur für Disability Studies und Teilhabeforschung sollen zum September bzw. Dezember dieses Jahres enden. ZeDiSplus ist seit 2005 eine der ersten Einrichtungen, die Disability Studies in Deutschland institutionell vertreten. Sein drohender Wegfall würde nicht nur eine zentrale Forschungseinrichtung im Norden Deutschlands treffen, sondern auch eine der wenigen Stimmen verstummen lassen, die sich konsequent für Inklusion, Partizipation und menschenrechtsorientierte Forschung und Lehre einsetzen. Das ZeDiSplus hat mit seinen öffentlichen und weitgehend barrierefreien Ringvorlesungsreihen internationale Bekanntheit erlangt. Aus diesen Veranstaltungen sind zahlreiche Publikationen hervorgegangen. Die Professur für Disability Studies hat u.a. mit dem Schattenbericht Hamburg eine konkrete Kritik aktueller staatlicher Politiken in Bezug auf die Inklusion und Partizipation von Behinderung betroffener Menschen entwickelt. Mit der Entwicklung überhochschulischer Zertifikatsstudiengänge leistet das ZeDiSplus Pionierarbeit und einen dringend erforderlichen Beitrag zur inklusiven und transdisziplinären Hochschulbildung.
Die 2004 gegründete Internationale Forschungsstelle Disability Studies (iDiS) an der Universität zu Köln sowie die erste ordentliche Professur für Soziologie und Politik der Rehabilitation, Disability Studies an einer deutschsprachigen Universität – bis 2024 mit bundesweiter und internationaler Sichtbarkeit durch Prof. Dr. Anne Waldschmidt vertreten – sind aktuell durch Sparpläne des Landes NRW in ihrer Existenz bedroht. An der Forschungsstelle werden zentrale, profilbildende Beiträge zu den deutschsprachigen Disability Studies geleistet, u.a. Lehrwerke, ein interdisziplinäres Handbuch Disability Studies, grundlegende Sammelwerke sowie einführende und programmatische Texte. Auch einschlägige Drittmittelprojekte wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und Forschungsprogramme der Europäischen Union gefördert. Der Kölner Ansatz verbindet Sozial- und Kulturwissenschaften auf innovative Weise. Hervorzuheben ist die grundlagentheoretische Orientierung der Professur, die in Verbindung mit den Disability Studies ein einzigartiges Profil innerhalb der deutschen Hochschullandschaft begründet hat. Der wegweisende Lehr- und Forschungsbereich an der Universität zu Köln braucht eine gesicherte Zukunft!
Warum ist das wichtig?
- Hochschulen und Universitäten sind zentrale Akteurinnen bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der Förderung einer inklusiven, barrierefreien Gesellschaft. Der Abbau von Disability Studies widerspricht diesem öffentlichen Auftrag.
- Ohne dauerhafte Strukturen verlieren deutschsprachige Hochschulen und Universitäten den Anschluss an internationale Entwicklungen in den Disability Studies wie in den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Skandinavien längst üblich – mit negativen Folgen für internationale Sichtbarkeit, Kooperationen und Drittmittelzugang.
- Der drohende Abbau der Disability Studies an mehreren Hochschulstandorten gefährdet die kritische Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit und gesellschaftlichem Wandel im Kontext von Inklusion, Partizipation und sozialer Gerechtigkeit.
- Die stark reduzierte Institutionalisierung der Disability Studies schwächt die Vielfalt fachlicher Perspektiven und untergräbt die Hochschulen und Universitäten in ihrer Rolle als Orte kritischer und pluralistischer Reflexion.
- Studierende brauchen mehr und nicht weniger interdisziplinäre und kritische Perspektiven, die für das Verständnis von Behinderung, Diversität, Inklusion und Partizipation im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention entscheidend sind.
Forderungen
Unser Appell richtet sich an alle, die an Universitäten, Hochschulen und in der Wissenschaftspolitik Verantwortung tragen:
- Erhalt des Zentrums für Disability Studies und Teilhabeforschung (ZeDiSplus) in Hamburg sowie der Internationalen Forschungsstelle Disability Studies (iDiS) in Köln und der dazugehörigen Professuren für Disability Studies.
- Die Finanzierung von bestehenden Lehr- und Forschungsstrukturen der Disability Studies muss dauerhaft und verlässlich sichergestellt werden.
- Angesichts des aktuellen reaktionären Backlashs gegen grundlegend demokratische Werte wie Menschenwürde, Gleichheit, Gleichstellung und Diversität, Toleranz, Solidarität und Gerechtigkeit ist nicht der Abbau, sondern der Ausbau des zukunftsweisenden und innovativen Forschungsfeldes Disability Studies das Gebot der Stunde.
- Das Lehrangebot zu Disability Studies ist in grundständigen und weiterführenden Studiengängen systematisch auszubauen.
- Nötig ist die strukturelle Einbindung fachlich ausgewiesener Expertise, insbesondere von Wissenschaftler*innen mit Behinderungen in leitender Funktion entsprechend der internationalen Guidelines for Disability Studies Programs der Society for Disability Studies (2004).
- Damit Disability Studies ihre kritisch-emanzipatorische Perspektive wirksam entfalten können, muss sichergestellt sein, dass sie institutionell unabhängig von den etablierten Strukturen und Disziplinen der traditionellen ‚Behindertenhilfe‘ sind.
Wissenschaft lebt, weil sie streitbar ist und Diversität braucht. Wer ihre kritischen Stimmen verstummen lässt, sägt am Fundament unserer freiheitlichen Demokratie. Die Verteidigung kritisch-emanzipatorischer Wissenschaftsansätze ist daher kein Luxusprojekt, sondern schützt vor wachsenden Tendenzen der Intoleranz und des Hasses – und setzt ein klares Zeichen für die Idee einer offenen, vielfältigen und diskriminierungsfreien Hochschule und Universität.
Sent with Pride – für eine Wissenschaft, die niemanden ausschließt.
Verfassende: Verein Disability Studies Deutschland e.V. & Arbeitsgemeinschaft Disability Studies (AGDS)