Die Situation in Afghanistan hat sich erneut – auf unabsehbare Zeit – dramatisch verschlechtert. Die Taliban-Milizen haben gewaltsam die Kontrolle über das Land übernommen. Die Verzweiflung vieler Menschen in Afghanistan ist offensichtlich – viele befinden sich in einer lebensbedrohlichen Situation. Aber auch für in Deutschland lebende Afghan*innen ist die Situation hochgradig belastend und herausfordernd. Die Bundesrepublik steht nach dem abrupten und chaotischen Ende des NATO-Einsatzes in der Verantwortung. Schnelles und konsequentes Handeln auf Bundes- und Landesebene ist nun geboten, die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Regelungen in Asyl- und Aufenthaltsgesetz müssen konsequent angewendet werden.
Unsere Jurist*innen, Regionalwissenschaftler*innen und Fachberater*innen haben die Lage in Afghanistan in den letzten Tagen neu bewertet. Wir – AGSA e.V., Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V., der Integrationsbeauftragte der Landeshauptstadt Magdeburg Krzysztof Blau, Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt (LAMSA) e.V. und Multikulturelles Zentrum Dessau e.V. – appellieren mit den Unterzeichner*innen dieser Petition an die Landesregierung Sachsen-Anhalt:
1. Etablieren Sie unverzüglich ein Landesaufnahmeprogramm nach § 23 Abs. 1 AufenthG!
Es braucht auf Bundesebene ein Bundesaufnahmeprogramm nach § 23 Abs. 2 AufenthG – aber auch das Land Sachsen-Anhalt muss dringend handeln. Dabei muss die schnelle und unbürokratische Aufnahme im Vordergrund stehen, die Prüfungskriterien müssen niedrigschwellig angelegt werden. Kriterium sollte hier die Vulnerabilität sein. Akut und besonders gefährdet sind u.a. ehemalige Ortskräfte und ihre Familien, Frauen und Mädchen, Journalistinnen, Menschenrechtsaktivistinnen, Kulturschaffende oder LBGTIQ*.
2. Wenden Sie Asyl- und Aufenthaltsrecht konsequent an!
Menschen in Afghanistan droht momentan nicht nur grundsätzlich „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit […] infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“. Afghanischen Asylsuchenden muss also mindestens subsidiärer Schutz nach §4 AsylG zuerkannt werden; Folgeverfahren von zuletzt abgelehnten Asylverfahren müssen ermöglicht und schnell bearbeitet werden. Für viele, z.B. Frauen oder Angehörige von ethno-religiösen Minderheiten, muss außerdem Asyl nach §3 AsylG geprüft werden.
Veranlassen Sie die lokalen Ausländerbehörden dazu, von sich aus aktiv zu werden und den bis dato Geduldeten und formal Ausreisepflichtigen jetzt eine Aufenthaltserlaubnis nach §25 Abs. 5 zu erteilen – ihre „Ausreise [ist] aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich [...] und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen“. Die Möglichkeit eines Aufenthalts nach § 25a oder § 25b AufenthG muss geprüft werden.
Das Verbot jeglicher Erwerbstätigkeit sollte in allen Fällen zügig aufgehoben werden. Zugang zu Sprachkursen und Integrationsangeboten ist so schnell wie möglich und auch vor der abschließenden Bearbeitung von Folgeanträgen oder anhängigen Verfahren zu gewähren. Afghanische Staatsbürger dürfen zudem grundsätzlich nicht weiter an die afghanische Botschaft verwiesen werden – das Einfordern von Dokumenten aus einer Vertretung, die von einer völkerrechtlich nicht anerkannten Miliz kontrolliert wird, ist weder legal noch legitim.
3. Ermöglichen Sie Familiennachzug!
Zur Zeit laufen viele Verfahren zum Familiennachzug, die teils seit Jahren an praktischen Hürden und einer enormen Bürokratie scheitern. Nun ist die Deutsche Botschaft in Kabul nicht mehr funktionsfähig; ein verbliebenes dreiköpfiges Team vor Ort ist damit beschäftigt, ehemalige Ortskräfte zu kontaktieren. Aktuell sind bundesweit ca. 3.000 Anträge auf Familiennachzug blockiert. Es müssen dringend die Bedingungen für wesentlich schnellere Termin- und Visavergaben geschaffen werden – Sachsen-Anhalt muss sich dafür auf Bundesebene einsetzen.