Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan spitzt sich die Lage immer dramatischer zu. Verzweifelte Menschen versuchen, aus Afghanistan zu fliehen. Vor allem Frauen und LGTBQI+, ethnischen und religiösen Minderheiten erfahren Gewalt durch die Taliban. Darüber hinaus sind Aktivistin*innen und Journalist*innen, die sich für eine offene und demokratische Gesellschaft eingesetzt, oder als Ortskräfte für die deutschen Bundeswehr gearbeitet haben, in Lebensgefahr.
Wissenschaftler*innen und zivilgesellschaftliche Initiativen haben seit Monaten darauf hingewiesen, dass das Auswärtige Amt die Sicherheitslage in Afghanistan falsch einschätzt oder beschönigt. Aufgrund dieser falschen Einschätzungen hat NRW bis zuletzt Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Afghan*innen, die in Deutschland sind, wurde eine sichere Bleibeperspektive sowie das Recht auf Familienzusammenführung verwehrt. Die deutsche Bundesregierung hat die Visaverfahren und Ausreise von Ortskräften hinausgezögert. Deshalb sitzen nun Menschen in lebensbedrohlicher Lage in Afghanistan fest, die längst in Sicherheit sein könnten.
NRWs Ministerpräsident und CDU-Vorsitzender Armin Laschet setzt auf Hilfe vor Ort und hat Verhandlungen mit Vertretern der Taliban über die Ausreise von Ortskräften begonnen. Doch in der aktuellen Situation sind Hilfeleistungen in Afghanistan nicht möglich. Verhandlungen mit den Taliban werden dazu führen, dass Menschen, wie im EU-Türkei-Deal, als Verhandlungsmasse instrumentalisiert werden.
Wir fordern von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens:
- Mehr Plätze für Geflüchtete Menschen zur Verfügung zu stellen.
- Die sofortige Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen für alle afghanischen Nordrhein-Westfäler*innen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, da eine Rückkehr ausgeschlossen ist.
- Den sofortigen Stopp der Dublin-Abschiebungen afghanischer Staatsangehöriger von Nordrhein-Westfalen aus in andere EU-Staaten.
- Einen schnellen und unbürokratischen Familiennachzug von in NRW lebenden Afghan*innen.
- Ein Landesaufnahmeprogramm Afghanistan für vulnerable und für gefährdete Gruppen, insbesondere Frauen und Kinder, kritische Journalist*innen und Wissenschaftler*innen, Frauen- und Menschenrechtsaktivist*innen, Autor*innen, Künstler*innen sowie Angehörige religiöser, ethnischer und sexueller Minderheiten.
- Innerhalb NRWs müssen gerade marginalisierte Personen, wie Frauen und Queere Menschen, besonders geschützt untergebracht werden.
NRW muss sich außerdem beim Bund einsetzen für:
- Die Durchsetzung aller auf Landesebene geforderten Maßnahmen auf Bundesebene.
- Eine sichere Bleibepersepktive für alle Betroffenen und besonders vulnerable Personen.
- Eine bundesweite Bleiberechtsregelung für geduldete Afghan*innen.
- Die zeitnahe Überprüfung der offenkundig fehlerhaften Asylablehnungen durch das BAMF.
- Sichere Fluchtrouten nach Europa.
Warum ist das wichtig?
Zwar hat Nordrhein-Westfalen zugesichert, als Soforthilfe 1800 Menschen (800 Ortskräfte und 1000 Frauen) plus deren Familien aus Afghanistan aufzunehmen. Doch angesichts der unvorstellbaren Notlage darf es nicht alleine dabei bleiben: Bei einer aktuellen Auslastung der Landesaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete von 39 Prozent und verbleibenden rund 13.100 Plätzen, ist die Aufnahmebereitschaft NRWs eine Farce (1).
Die deutsche Bundesregierung hat Menschen in Afghanistan blind einer lebensgefährlichen Situation ausgeliefert und statt Verantwortung zu übernehmen, dienen die Konzepte von Bürokratie und Ordnung als rassistisches Mittel, die Zahl der Geflüchteten zu minimieren. Im Wahljahr 2021 möchte vor allem die Union keine Wähler*innenstimmen verlieren und instrumentalisiert daher die lebensbedrohliche Situation tausender Afghan*innen. Durch die Problematisierung und Minimierung von Migration folgt sie der absurden Logik der Rechtspopulisten, mehr Migration führe zu mehr Rassismus.
Deutschland und NRW müssen sich zum universellen Menschenrecht auf Flucht bekennen und jetzt handeln: Es müssen so viele Menschen wie möglich aufgenommen werden. Alle gefährdeten Menschen müssen Schutz außerhalb Afghanistans suchen können. Die Infrastruktur dafür ist gegeben und muss genutzt werden. Es ist untragbar, dass Menschen in Afghanistan für das deutsche Militär gearbeitet haben und jetzt von der Bundesregierung im Stich gelassen werden. Darüber hinaus darf es keine Wertung von Schutzsuchenden geben: Ob Menschen aufgrund ihres früheren Arbeitsverhältnisses oder wegen ihrer Sexualität, ihres Genders, ihrer Religion und ihrer Art zu leben gefährdet sind, darf keine Rolle bei der Aufnahme spielen. Menschen sind Menschen, egal welcher Nationalität sie angehören.
Quellen
(1) https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/afghanistan-fluechtlinge-102.html