Skip to main content

An: Deutscher Bundestag

Antisemitismus als Antidiskriminierungsmerkmal im AGG aufnehmen!

Ich fordere den deutschen Bundestag auf, der gestiegenen antisemitischen Bedrohungslage in unserer Gesellschaft, mit einer Ergänzung des Merkmalbezugs "Antisemitismus" im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz entgegenzutreten, um Jüdinnen_Juden umfänglichen Schutz über unsere Gesetzeslage zu gewährleisten zu können.

Warum ist das wichtig?

Jüdinnen_Juden sehen sich in unserer Gesellschaft mit umfassenden Bedrohungslagen konfrontiert, werden zusehends aus öffentlichen Räumen verdrängt und dort nicht selten psychisch und physisch angegriffen, wie u.a. aktuelle Fallzahlen von RIAS belegen. Die deutsche Zivilgesellschaft reagiert nach Jahren mit zahlreichen Großdemonstrationen auf den Rechtsruck in unserer Gesellschaft.

Antisemitismus befindet sich aber in allen gesellschaftlichen Milieus und hat eine lange anhaltende Kontinuität in unserer Kultur, welche in der Öffentlichkeit oft noch zu wenig beachtet wird. Weder lässt sich der Antisemitismus unter Rassismus subsumieren und damit unerwähnt bleiben, noch stellt der inzwischen offen zur Schau getragene israelbezogene Antisemitismus eine demokratische Meinungsäußerung dar und auch die antisemitisch motivierte Schuldabwehr ist hierzulande keine unbedeutende Ausnahme.

Die mediale Öffentlichkeit als auch Zivilgesellschaft lassen es recht häufig an Sensibilität und Kritik in solchen Fragen mangeln und verfügen über unzureichende Kritikfähigkeit und Sensibilität für das antisemitische Ressentiment, wodurch Jüdinnen_Juden von der Solidarität durch die Gemeinschaft nicht selten ausgeschlossen bleiben.

Diese mangelnde Sensibilisierung spiegelt sich auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wider, welches Bürgerinnen*Bürger vor Diskriminierung schützen soll. Hierbei gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen den gegenwärtigen Formen antisemitischer Alltagserfahrungen und deren Erfassung durch das AGG. Da das AGG als das zentrale Erfassungsinstrument für Diskriminierungserfahrungen im Alltag dient, etwa durch spezialisierte Beratungseinrichtungen, ist diese Tatsache von zentraler Bedeutung, damit Jüdinnen_Juden sich in Deutschland sicher fühlen können.

Eine eindeutige Definition von jüdischen Identitäten ist jedoch zu komplex, um durch die bislang verankerten Merkmalskategorien im AGG abgebildet werden zu können, was für gravierende Lücken in unserer Gesetzeslage sorgt.

Eine Erfassung von Diskriminierung über die Merkmale "Herkunft" und "Religion" greift hierbei deutlich zu kurz. Jüdinnen_juden lassen sich sowohl als Volk, als auch als Religionsgemeinschaft definieren, aber nicht einseitig zuordnen. Jüdische Identität wird sowohl über kulturelle Tradierungen, als auch über die Abstammung (in orthodoxer Tradition über die Mutter) in ihrer Identität geformt. Anhand der Zugehörigkeit zum Judentum lassen sich also keine haltbaren Rückschlüsse zu den Merkmalen der Religiosität oder Herkunft erfassen.

Doch der viel wichtigere Punkt liegt darin begründet, dass Antisemitismus nicht in den Eigenschaften von (vermeintlichen) Jüdinnen_Juden begründet liegt, sondern in den Bedürfnissen und Eigenschaften auf der Seite der Antisemit*innen. Die zugehörigen Motivlagen gehen weit über die oben genannten Merkmale hinaus. Vielmehr sind sie Ausdruck eines emotional / ideologisch motivierten Weltanschauungsmodells, welches unabhängig von der realen Existenz von Jüdinnen_Juden sich entwickelt. Häufig geht dies mit einer Form von Entlastung über eine manichäisch geprägte Komplexitätsreduktion und monokausalen Verschwörungsglauben, sowie der Abwehr von Eigenverantwortung, Widersprüchen und Unsicherheiten einher. In dieser Wahrnehmung gilt "der Jude" als psychisch aufgeladene Projektionsfläche für alles als jüdisch bzw. negativ wahrgenommene an der Moderne, wie z.B. Aufklärung, Liberalismus, Demokratie, (Finanz-)kapitalismus und Globalisierung. Das antisemitische Ressentiment wird aber nicht nur von Menschen mit einem geschlossenen Weltbild propagiert, sondern auch von Akteur*innen welche kulturell tradierte Stereotype (z.B. allmächtige Strippenzieher, Kindermörder, Brunnenvergifter, einflussreiche Eliten mit finsteren Plänen, Kriegstreiber u.v.m.) verinnerlicht haben.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass zahlreiche diskriminierende Äußerungen, etwa im Netz oder bei öffentlichen Veranstaltungen, häufig nicht direkt an eine bestimmte Person gerichtet sind. So lassen sich zwar auf Demonstrationen und Reden oft antisemitisch aufgeladene Parolen und Feindbilder durch Monitoring und Forschung nachweisen, die als Diskriminierung, Belästigung, Beleidigung ihren Zweck erfüllen, sich aber nicht eindeutig einer Person zuordnen lassen.
Wie verhält es sich, wenn im Alltag "Du Jude" als eine Beleidigung geäußert wird? Hierbei handelt es sich sehr wohl um eine antisemitische Aussage, da sie an kulturell verankerte, negative Stereotype, als auch abwertende Vorstellungen von "dem Juden" appelliert und sie reproduziert. Häufig geschieht dies über zahlreiche etablierte Codes und Chiffren (siehe Stereotype), da der offene Antisemitismus noch immer geächtet ist. Die häufig emotional aufgeladenen und fixierten, faktrenresistenten und antidemokratischen antisemitischen Äußerungen werden jedoch immer häufiger vom Publikum verstanden und entladen sich immer wieder gewaltvoll von Aussagen, Sachbeschädigungen bis hin zum Terrorismus in den Lebensrealitäten von Jüdinnen_Juden widerspiegelt. Diese Feindschaft kann sich ebenso kollektiv gegen alles (vermeintlich) jüdische, wie z.B. den als jüdisches Kollektiv wahrgenommenen Staat Israel richten.

Da das AGG als zentrales rechtliches Instrument bei der Bekämpfung von Diskriminierung den Betroffenen in diesen und weiteren Fragen lediglich einen unzureichenden Schutz gewährt, werden über diese Lücken zahlreiche Diskriminierungspotenziale ermöglicht.

Ein Beispiel, wie es auch anders gehen könnte, stellt das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz dar, welches in §2 von "rassistischen und antisemitischen Zuschreibungen" spricht. Eine solche Formulierung hat gleich mehrere Vorteile. Auf diese Weise sind sämtliche antisemitischen Ausdrucksformen abgedeckt und der Betroffenenschutz kann maßgeblich erweitert werden. Zudem wird über den Terminus "Zuschreibung" der Problemgehalt präzise erfasst, statt ihn zu bagatellisieren oder reproduzieren.

Kategorie

Neuigkeiten

2024-02-29 11:34:17 +0100

100 Unterschriften erreicht

2024-02-14 14:16:23 +0100

50 Unterschriften erreicht

2024-02-11 12:34:51 +0100

25 Unterschriften erreicht

2024-02-09 16:17:32 +0100

10 Unterschriften erreicht