Rund 56.000 Menschen müssen jedes Jahr für minimale Armuts-Vergehen ins Gefängnis – z.B. weil sie Tickets für Bus und Bahn und die folgenden Geldstrafen nicht bezahlen können.
Dieses System der Ersatzfreiheitsstrafen trifft vor allem arme, kranke und obdachlose Menschen, die statt Gefängnisaufenthalten eigentlich staatliche Unterstützung benötigen. Sie sitzen vor allem wegen der ungerechten Verteilung von Wohlstand hinter Gittern.
Selbst die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafen per Reform führt auch am eigentlichen Problem vorbei, weil die Menschen ja immer noch aus ihren sozialen Beziehungen gerissen werden, nur eben halb so lang. Trotzdem droht ihnen z.T. der Verlust von Arbeit, Wohnung, oder Therapieplatz, weil sie z.B. das Ticket zum Arzt nicht bezahlen können.
Der verursachte „Schaden“ liegt hier oft bei wenigen Euro und die Kosten für diese ungerechten Strafen für die Steuerzahlenden liegen bei mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr. Im Gegensatz dazu müssen Manager für Betrug und Skandale oftmals gar nicht ins Gefängnis und den Preis zahlt die gesamte Gesellschaft. Dieses System von Klassenjustiz ist massiv ungerecht und Begnadigungen sind das Mindeste. Das durch Begnadigungen gesparte Geld könnte z.B. für günstigeren öffentlichen Nahverkehr, mehr soziale Arbeit, oder gegen Kinderarmut eingesetzt werden.
Wer kann hier was tun?
Die Justizminister*innen einiger Bundesländer machen jedes Jahr zu Weihnachten Gnadenerlasse.
Wir fordern jetzt diese auszuweiten und alle Menschen, die von der verlängerten Ersatzfreiheitsstrafe betroffen sind, so schnell wie möglich zu begnadigen. Wir haben solche Begnadigungen bei Justizministerien der Länder angefragt. Die häufigste Antwort: das sei "zu viel Arbeit"! Erst machen sie ihre Arbeit nicht, was die IT angeht, und jetzt ist ihnen das zu viel? Wofür sind die Justizministerien denn sonst da? Die Leidtragenden sind mal wieder die zu Unrecht Inhaftierten. Wenn die Begnadigung Arbeit macht, dann ist das eben so. Jeden Tag nach dem 1. Oktober, an dem diese Menschen im Gefängnis sitzen, ist ein Tag zu viel!
Das ist nur der Anfang,
danach müssen auch die Ersatzfreiheitsstrafen insgesamt und die Kriminalisierung von Armut generell abgeschafft werden.__________________________
Quellen: Bayerns Justizministerium hat Software-Probleme: Häftlinge länger im Gefängnis , Süddeutsche ZeitungNagrecha, M. 2023: Bündnis zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, 17. April 2023Gnaden-Erlasse der Landesjustizministerien: Zu Weihnachten kommt man früher aus dem Gefängnis, zu Ostern nicht, FragdenStaat___________________________
Für weitere Hintergründe und Forderungen:Justice Collective: IT-Versagen der Regierungen darf nicht zu Lasten der Gefangenen fallenGalli, T. 2022: “Weggesperrt. Warum Gefängnisse niemandem nützen”
Steinke, R. 2022: “Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich!”